Als Berlin von Buch aus „regiert“ wurde: Skandale und Weichenstellungen
Buchautor | |
Michael Kowarsch | |
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Schloss als „Rotes Rathaus“
Stand: April 2021
Das heutige Berlin hat seine Wurzeln im Ortsteil Buch. Dort, vom damaligen Schloss aus, wurde 1920 Groß-Berlin mit aus der Taufe gehoben.
Dieses 1964 abgerissene Wahrzeichen von Buch hatte der
damalige Oberbürgermeister Adolf Wermuth zum Sitz genommen. So wurden von hier aus die kreisfreien Städte Berlin-Lichtenberg, Berlin-Schöneberg, Berlin-Wilmersdorf, Charlottenburg und Spandau sowie Cöpenick mit Berlin zusammengeführt. Dazu kamen 59 Gemeinden und 27 Gutsbezirke.
Groß-Berlin von Buch aus
Während Eingemeindungen in neuerer Zeit mit viel Protest verbunden sind, ging vor 101 Jahren diese Weichenstellung wohl vergleichsweise harmonisch über die Bühne.
Dennoch wurde der „Macher“ von Groß-Berlin, das 1920 mit über drei Millionen Einwohnern drittgrößte Stadt weltweit geworden war, nicht sehr glücklich. Zwar gelang ihm im Oktober 1920 seine Wiederwahl, doch nach erheblichen Anfeindungen der bürgerlichen Parteien und Teilen der SPD gab er sein gerade errungenes Amt bereits einen Monat später auf. Er starb 1927 mit 72 Jahren und ist in Berlin-Buch bestattet. Seine Grabstätte wurde jetzt vom Senat zum
Ehrengrab gewidmet.
Aus Buch für Buch
Ganz neu ist die spannende Geschichte um die Entstehung von Groß-Berlin aus Sicht des Machers wieder im Buch „Ein Beamtenleben: Der Geburtshelfer von Groß-Berlin erinnert sich“ für alle nachvollziehbar. Dies ist dem Bucher
Michael Kowarsch zu verdanken. Er „grub“ die Autobiografie von Adolf Wermuth aus und machte sie wieder zugänglich. Dabei kam dem 65-jährigen Jung-Rentner zugute, dass er mit Büchern aufgewachsen ist. „Ich bin seit meinem 16.
Lebensjahr Buchhändler gewesen“, erklärt er. Er wurde in Berlin-Buch geboren und verbrachte sein gesamtes Leben hier. Vielen ist er mit seinen Buchhandlungen, zuletzt in der Schlosspark-Passage und im Helios-Klinikum, bekannt.
Wetter und Weltausstellung
„Die Lebenserinnerungen waren in Fraktur-Schrift verfasst, was heute kaum mehr jemand lesen kann. Ich habe alles übertragen. Außerdem habe ich die Orthografie auskorrigiert, aber ohne sie an die heutige Rechtschreibung anzupassen. Schließlich sollte die Authentizität bewahrt bleiben“, beschreibt Michael Kowarsch seine Vorgehensweise. Er gibt gerne zu, dass er von dem aus Hannover stammenden Juristen, dessen Vater als Polizeidirektor die Monarchie hochhielt, begeistert ist. „Er war Amtsrichter, danach im deutschen Innenministerium für den Aufbau des Reichswetterdienstes maßgeblich mitverantwortlich. Zu seinen Aufgaben gehörte die deutsche Präsentation auf den Weltausstellungen 1888 im australischen Melbourne und 1893 in Chicago. Als Helgoland 1890 im Zuge eines Vertrags von Großbritannien zum Deutschen Reich kam, wurde Adolf Wermuth Interimsverwalter der Nordseeinsel“, fasst Michael Kowarsch zusammen. Wermuth wurde als Parteiloser 1912 Oberbürgermeister von Berlin und gleichzeitig bis 1918 Mitglied des ‚Preußischen Herrenhauses‘, das die erste Parlamentskammer über dem Abgeordnetenhaus war“, hat Kowarsch weiter herausgelesen. „Der vierfache Vater
war ein strategischer Denker,
ein verantwortungsvoller und durchsetzungsstarker Politiker, der stets das große Ganze im Blick hatte. Als Reichsschatzsekretär, also Finanzminister, war er berühmt-berüchtigt gewesen für seine Devise: ‚Keine Ausgabe ohne Deckung!‘ Als aber der Kaiser sein Lieblingsprojekt Marine aufstocken wollte, ohne die unbequeme Gegenfinanzierung zu akzeptieren, trat Wermuth zurück. „Er hat in den USA das System der
Lebensmittelmarken kennengelernt und es hier während des Ersten Weltkriegs eingeführt. Damit half er vielen, die sonst zu kurz gekommen wären. Außerdem machte er sich für den Ausbau des Verkehrssystems mit S-, U- und Straßenbahnen stark, was heute ja wieder ein aktuelles Thema ist.“ Besonders spannend in dem Buch werden allerdings
die Details sein, die Adolf Wermuth darüber erzählte.
Sex neu aufgelegt
Jedenfalls ist Michael Kowarsch ebenso ein leidenschaftlicher Fan seiner Heimat wie der Vater des modernen Berlin. Dies bewies er,
indem er ein weiteres Juwel ausgrub. Es handelt sich um einen stark an die historischen Tatsachen angelehnten Roman. In „Das törichte Herz der Julie von Voß“
beschreibt Annemarie von
Nathusius das kurze, aber
leidenschaftliche Leben der jungen Frau. Sie war im Schloss Buch aufgewachsen und konnte als Hofdame Friedrich Wilhelm II. so bezirzen, dass er sie zur offiziellen „Zweitfrau“ machte. 1787 bekam sie den Titel Gräfin von Ingenheim verliehen.
Zwei Jahre später ist sie mit gerade mal 22 Jahren an Lungentuberkulose verstorben.
Auf eigenen Wunsch wurde sie an der Schlosskirche in Buch beigesetzt. Mit dem
Roman der 1926 in Berlin verstorbenen Schriftstellerin gibt es neben Theodor Fontane und seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ weiteren Zugang zu der berühmten Bucherin.
Bald Krimi?
Und weil er schon beim
Graben ist, möchte Michael Kowarsch jetzt noch weiteren Einblick ins historische Berlin-Buch geben. „Ich bin auf alte Aufzeichnungen über Ausgrabungen gestoßen“, macht er neugierig. Dass dies ebenso spannend wird, ist keine Frage. Schließlich ist der verheiratete Familienvater Krimi-Fan, allerdings in Wartestellung: „Wenn mir ein entsprechendes Thema unterkäme, würde ich gerne darüber schreiben“, kündigt er an. Klar, dass dies dann
ein Fall aus Berlin-Buch sein müsste, doch woher nehmen, wo es in dem im Aufwind befindlichen Stadtteil doch meist friedlich zugeht!